Die Causa Sargnagel: Warum „Kronen“-Leser die Satire fürchten

Die österreichische Autorin Stefanie Sargnagel veröffentlicht zusammen mit zwei Kolleginnen ein satirisches Reisetagebuch, die rechtskonservative „Kronen“-Zeitung hetzt dagegen – und tritt einen wütenden Mob los. Woher kommt der Hass?

Für die einen ist es Kunst. Für die anderen „Saufen und Kiffen auf Kosten der Steuerzahler“.

Ein satirisches Reisetagebuch der österreichischen Schriftstellerinnen Stefanie Sargnagel, Lydia Haider und Maria Hofer hat die rechtskonservative „Kronen“-Zeitung empört. Und die wiederum trat einen rechten Hetz-Mob gegen die Autorinnen los.

Was ist da passiert?

Mal von Anfang an.

Im Januar reisen Sargnagel, Haider und Hofer nach Marokko. Sargnagel und Haider haben dazu einen Reisekostenzuschuss zwecks Recherchen für ihre neuen Bücher beim österreichischen Ministerium für Kunst und Kultur beantragt. Jeweils bekamen sie 750 Euro.

Das sei ein üblicher Vorgang, berichtet der „Standard„. Immerhin handelt es sich bei den dreien nicht um Dilettantinnen, die sich mit dem Geld eine schöne Zeit in Nordafrika ergaunern wollten. Alle drei haben bereits Bücher veröffentlicht. Haider bekam ein Stipendium. Sargnagel erhielt 2016 den Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb.

Während der Reise soll dann die Idee entstanden sein, ein Tagebuch zu verfassen. Der „Standard“ veröffentlichte es.

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Und was liest man da so? Eher belangloses. „Die haselnussbraunen Augen des Taxifahrers erinnern mich an Haselnüsse“, schreibt Sargnagel. „Heute hat Lydia dreizehn Flaschen Wein getrunken. Maria hat mit dem Muezzin geschmust“, heißt es später von ihr. Lydia habe außerdem ein Katzenbaby weggetreten.

Das Ganze ist klar satirisch überzeichnet. 13 Flaschen, hallo? Mit einem Muezzin geschmust? Katzenbabys?

Und danach der Shitstorm…

Naja, man kann das lustig finden oder nicht. Für den Chefredakteur der „Kronen-Zeitung“ Richard Schmitt sind das „schauderhaft verfassten Internet-Gschichterl“. Aber um Literaturkritik ging es ihm nicht. Dass das Tagebuch Satire sein könnte, kam ihm offenbar nicht in den Sinn. Seine Empörung ist groß – und sehr real:

„Mit 1500 Euro durften wir Steuerzahler also das zehntägige Besäufnis, das Haschen, das Katzentreten sowie eine Muezzin-Schmuserei dieser Literatur-Ausflüglerinnen subventionieren“, schreibt er.

Und nach ihm der Shitstorm. Es hagelte Kommentare wie: „Es ist Wahnsinn. Und so etwas darf sich frei bewegen. Was ich mir sonst noch denke und dem kranken Hirn wünsche, kann ich hier aber nicht schreiben.“ Das haben andere allerdings getan: „Die gehören in eine Grube geschmissen mit lauter Vergewaltigern.“ Und so weiter.

Es folgten Polizeiermittlungen und eine Facebook-Sperre von Sargnagel. Die hatte die unsäglichen Kommentare geteilt. Die Presse kommentierte all das, hier oder auch hier.

Die eigentliche Frage aber ist doch: Wie kann man sich über so einen – im Grunde harmlosen – Artikel wie das Reisetagebuch so dermaßen aufregen?

Drei Erklärungsansätze

Künstler sind ja faule Hunde. Das weiß man. Den ganzen Tag nix tun – und das dann Kunst nennen. Kennt man, weiß man. Und jetzt geben sie es endlich mal zu. Die lassen sich Geld geben, fahren nach Marokko und tun …. NIX. Ha! Habe ich allerweil gesagt, dass das faule Hunde sind. Moralisch verdorben noch dazu. Mit Arabern schmusen, hör mir auf.

Das dürfte in etwa der Gedankengang des durchschnittlichen „Kronen“-Lesers gewesen sein. Im „Kronen“-Artikel fehlen ja auch alle Passagen, wo eine der Autorinnen schreibt, dass sie tatsächlich an einem Roman arbeitet. Dass die Leser Satire nicht erkennen, wenn sie offensichtlich ist, geschenkt. (Sargnagel über enttäuschende Männerbekanntschaften in Marokko: „Der Kölner Hauptbahnhof hat echt zu viel versprochen.“)

Da kommt also das Vorurteil raus, dass Künstler dem Staat nur auf der Tasche liegen.

Aber so ganz erklärt das den enormen Hass noch nicht. Ein etwas philosophischere Ansatz:

Den Rechten sind die Satire, die Literatur und die Kunst im Allgemeinen zuwider. Vor allem, wenn sie für eine offene Gesellschaft werben. Man denke an die rechten Proteste wegen den aufgerichteten Schrottbussen vor der Dresdner Frauenkirche. Oder an die Attacken rechter Aktivisten gegen Theater.

Die Geschäftsführerin der Kunstaustellung documenta, Annette Kulenkampff, warnte kürzlich in der „Huffington Post“, dass die Freiheit der Kunst von einer rechten Partei wie der AfD bedroht sei. Die AfD in Mecklenburg-Vorpommern sei etwa der Meinung, dass Kunst einen deutschen Bezug haben soll. Nur noch deutsche Kunst also. Was soll das sein?

Kunst lässt sich nicht eingrenzen. Um mal ganz pathetisch den alten Kant zu zitieren: Die ästhetische Erfahrung ist geprägt von einem freien Spiel der Einbildungskraft und des Verstandes. Da geraten vermeintlich feste Identitäten schon einmal durcheinander und es wird – um es salopp zu sagen – mit dem Muezzin geschmust.

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Die unheimliche Satire

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Ich glaube aber, dass den Lesern der „Kronen“-Zeitung vor allem eines unheimlich war: die Satire. Denn die darf zwar nicht alles, aber bekanntlich doch sehr viel. Die Satire bringt Glaubenssätze ins Wanken, ihr natürlicher Feind ist das dogmatische Denken.

Warum fühlt sich der türkische Präsident Erdogan so von Satire herausgefordert? Wegen den Verleumdungen und den Beschimpfungen selbst?

Es ist auch kein Zufall, dass die Nationalsozialisten nur zu Beginn auf die Mittel der Satire setzten. Als sich ihre Macht verfestigt hatte, strebten sie eher einen gemäßigten, gemütlichen „deutschen Humor“ an, wie der Historiker Patrick Merziger das nennt. Die nur destruktive Satire war ihnen da zu gefährlich.

Es ist das destruktive Moment in der Satire, dass diese so gefährlich macht. Es lässt feste Ordnung zusammenstürzen. Damit haben nicht nur die Rechten ein Problem, denke ich, sondern grundsätzlich alle, die in einem starren und äußerst engen Normen-Korsett sitzen.

Ein anderes Beispiel: Auf einer Tagung irgendwo Bayern ging es um Satire – und um Blasphemie. Genau genommen um Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo. Einige Teilnehmer waren über die Zeichnungen richtig erbost. Sie wollten darüber nicht einmal reden, verließen den Raum.

Dabei handelte es sich nicht um Muslime, sondern um waschechter Bayern. In Tracht. Wahrscheinlich mit einem Parteibuch bei der CSU. Also genau die Leute, denen der Islam per se suspekt ist. Meine Erklärung für ihre Empörung: Die Satire fordert traditionelle Wertesysteme heraus. Wer auch vor der Religion nicht zurückschreckt, der muss moralisch verdorben sein, müssen sich diese Menschen gedacht haben.

Ähnliches müssen auch die „Kronen“-Leser gedacht haben. Auch wenn ihnen offenbar nicht bewusst war, dass sie es mit Satire zu tun hatten. Das offene Wertesystem von mit Muezzinen knutschenden und Kamele reitenden Autorinnen machte ihnen dann aber doch zu viel Angst.

Und wie wird man Angst am besten los? Man schreit. Und das ziemlich laut.

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