Von Leichen und Schmiersuff: Muss man das lesen?

„Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk ist ein Roman über einen Serienmörder – ohne ein Krimi zu sein. Es ist vor allem ein ekelhaftes Buch. Muss man das lesen? Eine Rezension.„Der Goldene Handschuh“ von Heinz Strunk ist ein lustiger Krimi. Und ein Roman, der ekelerregend vor Pisse trieft und vor Leichen modert.

Muss und will man das lesen? Die kurze Antwort: Ja. Die lange Antwort folgt.

Um was geht’s?

Fritz Honka war ein Serienmörder, der in den 70ern vier Frauen umbrachte, die Leichen in der Abseite seiner Wohnung versteckte – und nur zufällig entdeckt wurde, als in seiner Nähe ein Brand ausbrach.

Honka war eine Schreckensfigur in den Medien. Damals sagte man zu Kindern auch: „Sei artig, sonst kommt der Honka dich holen!“

Fritz Honka ist eine der Hauptfiguren des Romans. Strunk lässt uns zusehen, wie Fiete – so lautet Honkas Spitzname – sich im „Goldenen Handschuh“ besäuft, und dort seine Opfer kennenlernt.

„Der goldene Handschuh“ ist eine Absturzkneipe in St. Pauli und überlaufen mit „Scheißhausexistenzen“: Penner, Obdachlose, Luden, Prostituierte. Verlorene, die nichts mehr haben außer dem Alkohol und ihrem Spitznamen.

Spitznamen erster Klasse: Ritzen-Schorsch. Glatzen-Dieter. Nasen-Erni, Bulgaren-Harry, Doornkaat-Willy. (S. 18f.)

Daneben erzählt „Der goldene Handschuh“ aber auch noch vom Abstieg der (fiktiven) Reederei-Familie der von Dohrens; von deren missgestaltetem jüngsten  Spross Wilhelm Heinrich, genannt WH 3, und seinen scheiternden Annäherungsversuchen an Mädchen. Und vom Schwager Karl von Lützow, ein Anwalt, und ebenso wie Fiete Alkoholiker mit einem gewaltig gespannten Verhältnis zu Frauen. Von einem Mord trennen ihn einmal nur wenige Sekunden.

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Heinz Strunk: „Der goldene Handschuh“. Rowohlt.

Das ist das Personal des Romans. Die Frage, wie Honka zum Mörder wird, gibt dem Ganzen einen sanften Spannungsbogen – ohne dass die Morde im Zentrum stehen würden.

Denn das Interessante an dem Roman ist nicht, was er erzählt, sondern wie er es erzählt.

Huch, ein Mord

Es gehört zum Spiel dieses Romans, dass man Honka zuerst nicht unter seinem bürgerlichen Namen begegnet, sondern unter seinem Spitznamen „Fiete“. Bis man als Leser feststellt, dass eben jener Fiete der Serienmörder Honka ist, hat er sein (vermeintlich) erstes Opfer schon in seine Wohnung gelotst und ihr ein Schreiben aufgesetzt, in dem sie ihren eigenen Willen abgibt und alle ihre Entscheidung fortan von Fiete treffen lässt.

Sozusagen die Kiez-Version von „Fifty Shades of Grey“. Mit einem Christian Grey, der schielt, ein eingedrücktes Gesicht und Hände groß wie Schaufeln hat. Und einer Gespielin, die in einer großartigen Passage mit dieser grellen und komisch-traurigen Gossenpoesie beschrieben wird:

Die Frau, die reinkommt [in den „Handschuh“], zittert vor Kälte und ist ziemlich klein. Wie dreckiger Rasierschaum ergießt sich graues, dünnes Haar über die Rückseite ihres eulenartigen Schädels. Die Kopfhaut ist an mehreren Stellen kahl. Sie steht da wie abgeschaltet, den Blick in Leere gerichtet, vereist und ausdruckslos. Sie könnte fünfzig sein oder siebzig. (S. 26)

Strunks Sprache macht diesen Roman so fesselnd. „Dreckiger Rasierschaum“, „eulenartiger Schädel“, „steht da wie abgeschaltet“ – die Metaphern und Vergleiche, die er für seine abgestürzten und vom Leben übel mitgespielten Figuren findet, sind so passend wie morbide schön.

Bis zum ersten Mord ist man als Leser bestens unterhalten. Und dann rutscht der Mord so nebenbei in die Geschichte rein.

Keine Vorwarnung, kein besonderer Anlass. Der Mord geschieht einfach, ohne besondere Nachwirkungen. Danach geht es weiter in der Prozession aus Alkohol, Gestank und Körperflüssigkeiten.

Die Nebensächlichkeit, mit der die Morde geschildert werden, wirft die Frage auf: Darf man das?

Darf Strunk sich so in einen psychisch geschädigten Frauenmörder einfühlen, mit diesem krassen Vokabular, das keinen Respekt und keine Gnade kennt?

Ein Beispiel nach dem vorletzten Mord:

Als sie tot ist, legt er sie auf den Bauch, damit sie ihn nicht angucken kann, dann trinkt er noch was. Er nimmt das Küchenmesser und säbelt ein wenig an seinen Eiern herum. Am liebsten würde er den kranken Schwanz köpfen, den Kern seiner Verfluchtheit herausschneiden. Dieser verdammte Sack, der Ursprung allen Übels! Er zittert wie ein sterbender Hund. Ein beherzter Schnitt, und es wäre vorbei, doch er traut sich nicht. (S. 236)

Man fühlt sich beim Lesen bei solchen Stellen sehr unwohl. Der Honka kommt einem da doch zu nah, wenn man durch erlebte Rede bei einem Mord in seinem Kopf steckt.

Aber genau dieses beklemmende Gefühl macht diesen Roman so lesenswert.

Auch wenn Strunk Fritz Honka als armes Würstchen schildert, kam bei mir nie Sympathie für ihn auf. Man darf Sympathie nicht mit Empathie verwechseln, wie der Autor selbst in einem Interview sagte. Und Empathie ist die Leistung dieses Romans – und der Literatur. (Die Blog-Welt ist sich bei dieser Frage uneins: Krimiundco meint, sie habe keine Anteilnahme für Honka empfunden, Lottekind meint, sie schon.)

Was bleibt am Ende von der Lektüre?

„Der goldene Handschuh“ ist kein moralisches Buch. Da waren sich auch bisher die meisten der Rezensionen einig. Die FAZ meint (mMn die beste Rezension der „großen“ Medien), dass der Roman von einem Verbrechen ohne Bedeutungsüberschuss erzähle. Aber dass es die ungeheuerliche Leistung von Strunk sei, die Empathie dahin zu führen, wo man sich nicht mehr einfühlen möchte.

Das ist eine Zumutung. Über die jeder selbst vor Beginn der Lektüre entscheiden muss, ob er sich ihr aussetzen will.

Dass die Erzählung dabei  von den Geschichten aus der oberen Schicht durchkreuzt wird, macht den Roman insgesamt etwas erträglicher.

Die beste Szene

Es gibt viele schreckliche, viele lustige, viele grausam eindringliche Szenen in diesem Roman. Ich habe hier eine ausgewählt, die nicht nur den komödiantischen Ton Strunks zeigt, sondern auch den Zynismus der Figuren, ihren stets vorhanden Willen zur Misshandlung und die Abscheu des Lesers dagegen. Ohne noch mehr von der Handlung zu verraten, keine Angst.

Nach dieser Szene wusste ich, dass ich den Roman fertig lesen werde.

Karl von Lützow spricht hier – mehr oder weniger aus Langeweile – zu seiner attraktiven Sekretärin Frau Gaede:

„Also die Frage ist weniger juristischer denn moralischer Natur. Ist es eigentlich schlimmer, zwei Menschen zu töten als nur einen? Klar, werden Sie ohne Zögern antworten. Das ist der erste Impuls, das verstehe ich. Jetzt aber die entscheidende Frage: Wievielmal schlimmer? Zweimal so schlimm?“
Frau Gaedes Gesichtszüge frieren ein, als habe man ihr sämtliche für die Mimik zuständige Stöpsel und Stecker gezogen. Sie ist nicht in der Lage, die Frage zu erfassen, weder intellektuell, noch was ihre Komik betrifft. Sie glaubt vielmehr, ihr Chef habe irgendwie etwas ganz Schlimmes gesagt. […]
„Sehen Sie, gar nicht so einfach. Machen Sie sich darüber bis morgen Gedanken, aber natürlich nur, wenn Sie Lust dazu haben. Ich werde mich jedenfalls für heute verabschieden und den freien Nachmittag nutzen, um daheim Akten zu fressen.“ […]
Er blinzelt ihr zum Abschied zu. Herrlich (S. 60f.)

Nie wird die Perspektive von Karl durch die Gedanken seiner Sekretärin durchbrochen. Das würde man sich manchmal wirklich, wirklich wünschen. Aber genau deshalb ist „Der goldene Handschuh“ ein so unangenehmes und eindringliches Buch.

Warum sollte man das lesen?

Es gab schon genug Lob. Hier aber noch zwei Gründe, den Roman zu lesen:

  • der Wortschatz. Was man hier alles für Ausdrücke lernt, großartig. „Säberalma“ für sabbernde Omas, „Sturzsuff“ für einen Absturz, „Schmiersuff“ für ein langes Saufgelage.
  • die Redewendungen. Was hier an Phrasen rausgehauen wird, ebenso großartig: „Es gibt nur drei Gründe, warum man trinkt. Erstens, um was Schlimmes zu vergessen, zweitens, um was Schönes zu feiern, und drittens, wenn mal nichts los ist, damit was passiert.“ (S. 79) Oder: „Ich hab so einen Hunger, dass ich vor lauter Durst nich weiss, was ich rauchen soll.“ (S. 134)

Wo lernt man denn sowas sonst?

Für wen ist das was?

Für alle, die Romane mit originellen, eindringlichen Stimmen mögen. Wer Strunks ersten Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ mochte, könnte hier vom Thema abgestoßen sein, die Faszination von Strunks erzählerischer Sprache aber bleibt.

Wie Tobias Nazemi von buchrevier.de in seiner sehr lesenswerten Rezension schreibt, ist der Roman auch etwas für Leser, die Fallada mögen; also einen nüchternen und manchmal poetischen Einblick in ein Milieu von „Verlierern“.

Wer sich von den Zitaten in dieser Rezension noch nicht angewidert fühlt und eine aufgeladene Lektüreerfahrung sucht, dem sei der Roman nachdrücklich empfohlen.

Alle Zitate aus: Heinz Strunk: Der goldene Handschuh. Rowohlt: Reinbek bei Hamburg, 2016.

Bildcredit: kopa.

Ein Gedanke zu „Von Leichen und Schmiersuff: Muss man das lesen?“

  1. dito! Bis zur Frage von Karl von Lützow war ich mir nicht sicher, ob ich es bis zum Ende schaffe. Am Ende aber kann ich die Frage für mich selbst nicht beantworten. Wenig hilfreich sind mir dann die Überlegungen von Rechtsanwalt Rolf Bossi. Natürlich sind diese richtig, aber treffen diese für Honka zu?? Der reflektiert bis zum Schluß nicht über seine SCHULD. Offensichtlich war er daran vermindert, nach jahrelangen Exzessen und selbst erfahrenem Unrecht. Dies beantwortet die Ausgangsfrage aber nicht. Was für mich bleibt ist am Ende mit dem Tod von Honka, dass der Tod eines Menschen absolut verwerflich ist und eine Steigerung nicht möglich ist. Daran ändert auch nichts der Tod weiterer Menschen. Es ist und bleibt absolut verwerflich, es bleibt einfach „einmal“ schlimm.

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