Wie ein hypersensibler Kommissar einen Mordfall löst

Till Raethers „Treibland“ ist ein spannender Krimi, der ganz anders ist als seine Konkurrenz. Mit originellen Vergleichen, einem eigenen Stil und einem seltsamen, sensiblen Kommissar als Hauptfigur. Eine Rezension.

Schön ist es nicht, an Ebola zu sterben. Wobei Sterben ja im Allgemeinen nicht zu den angenehmen Tätigkeiten gehört.

Aber der mit Ebola infizierte stirbt nicht gleich. Zuerst bekommt er hohes Fieber, kotzt sich seine vom Virus zerfressenen Organe aus dem Leib und verendet schließlich.

Am Ende bleibt nur ein Haufen zerstörter Zellen übrig, die entfernt der Person ähneln, die sie zusammen mal gebildet haben.

Das ist das Ende, dass sich Till Raether für manche seiner Charaktere in seinem Krimi Treibland ausgedacht hat. Kein schöner Tod, aber perfekt für einen schönen Krimi, oder?

Um was geht’s?

In Hamburg läuft das Kreuzfahrtschiff „Große Freiheit“ ein. An Bord: ein Toter, verstorben an einem Ebola-Virus.

Zunächst kann nicht ausgeschlossen werden, dass der verstorbene Carsten Lorsch absichtlich infiziert wurde. Die Ermittlungen werden aber erschwert, weil die Zuständigkeit für den Fall nicht ganz klar ist. Die Reederei hat ihren Sitz in Panama hat, wodurch das Schiff panamaischem Recht untersteht. Wegen dieser Unübersichtlichkeit werden dem Fall zwei Ermittler zugeteilt, die nicht zu offensichtlich auf dem Abstellgleis stehen, aber „in den nächsten zwei, drei Tagen nicht zu viele Bäume“ (S. 24) ausreißen werden.

Die Wahl fällt auf den vermeintlich ermittlungsfaulen Kommissar Danowski und seinen Kollegen Finzel, einen ehemaligen Alkoholiker.

Und wie es sich für einen guten Krimi gehört, stellt dieses Duo von gehandicapten Ermittlern bald fest, dass der Virus als Waffe für einen Mord diente und dass dahinter eine verzwickte Intrige steckt.

till raether treibland

„Schüchtern, ruppig, zickig oder einfach sonderbar“

Raether erzählt seinen Krimi in der dritten Person. Jedes Kapitel wird aus der Sicht einer Fokalfigur wiedergegeben.

Zumeist ist das natürlich Raethers Hauptfigur, der faule Danowski. Gelegentlich bekommen wir aber auch Einblick in die Gedanken von Verdächtigen, Zeugen, von Finzel und anderen Figuren.

Das erhöht die Spannung in klassischer Krimimanier, weil die Verbindung zwischen manchen Figuren und Episoden zu Beginn alles andere als klar ist.

Was Raether vom Krimi-Durchschnitt abhebt, ist einerseits sein lakonischer Schreibstil. Es ist vor allem aber sein Kommissar Danowski.

Der ist weder verschroben, exzentrisch, besonders ruppig oder emotional versehrt wie es sonst das Klischee des hard-boild-Detektivs will. Danowski ist einfach nur vom Leben gebeutelt – wie wir es alle sind. Frau, Kinder und die Kriminaler-Arbeit werden ihm manchmal einfach zu viel.

Darüber hinaus erfährt Danowski zu Beginn von seiner Ärztin, dass er von einem neurologischen Phänomen betroffen ist, das Hirnforscher „Hypersensibilität“ nennen. Hypersensible werden von eingehenden Reizen schnell überfordert, weil diese nicht richtig gedämpft werden. Das führt schnell zu Überforderung und Erschöpfung der Betroffenen.

Auf ihre Umwelt wirken Hypersensible meistens: „schüchtern, ruppig, zickig oder einfach nur sonderbar“ (S. 32) – weil sie sich irgendwie vor der Reizüberflutung abschotten möchten.

Danowski aber gibt seine Hypersensibilität einen entscheidenden Vorteil: Er kann Menschen besser lesen, weil er mehr Details an ihnen feststellt. Wie sind sie gekleidet? Was sagt ihr Gesichtsausdruck aus? Wonach riechen sie?

Danowski wird durch eine neurologische Abnormalität zum Sherlock Holmes.

Endlich einmal kein Kommissar, dessen traumatische Kindheit im Verlauf des Falls aufgedeckt wird. Sondern ein durchschnittlicher Typ mit einem überdurchschnittlichen Auge für Details.

In der Mitte schleppend, am Ende rasend

Als Leser folgt man diesem Ermittler also gerne. Trotzdem zieht sich das Buch etwas in der Mitte, weil der Zusammenhang mancher Episoden nicht klar ist und ein paar Hinweise auf Querverbindungen nicht geschadet hätten.

Für fast 150 Seiten steckt Danowksi in der Mitte auf dem Schiff fest. Und immer wieder gibt er seinen Kollegen denselben Statusbericht: keine neuen Erkenntnisse. Hier passiert definitiv zu wenig.

Die Langweiligkeit macht das Buch aber am Ende wieder gut. In den letzten 80 Seiten laufen endlich die Fäden zusammen und Danowski verbringt ein äußerst unterhaltsames Gespräch mit der Tropenärztin Dr. Schelzig. Die Rede ist durchsetzt von Witzen, aber zwischen den Zeilen schwebt Danowskis Unsicherheit, ob er der Ärztin vertrauen kann.

Der Gefahr begegnet der Kommisar mit Scherzen. Wie etwa Danwoski Antwort auf Schelzigs abschließendes Urteil nach der Untersuchung seines Anus – immerhin könnte sich Danowski auch mit dem Virus angesteckt haben:

„Sieht gut aus“, sagte sie. „Danke“, sagte er. „Höre ich oft.“ (S. 403)

Was bleibt am Ende?

Treibland ist kein typischer Krimi. Nicht nur sind die Figuren ausgefeilter als der Genredurchschnitt, auch die Sprache hebt sich von der einfallslosen Spannungsliteratur ab. Jeder Satz wurde hier aufmerksam gearbeitet.

Die Vergleiche sind immer originell, die Figuren klingen authentisch. Außerdem beschreibt Raether nicht einfach nur, sondern er ist ganz dicht an seinen Figuren dran und lässt sie in ihrer eigenen Sprache erzählen.

Ein Beispiel:

Wie fühlte man sich eigentlich, wenn man den falschen Mann umgebracht hatte? Richtig scheiße, doppelt schlechtes Gewissen, doppelte Reue, doppelt so tiefer persönlicher Abgrund? Oder war das mehr wie: Mist, das hab ich im Auto liegengelassen, muss noch mal zurück, den ganzen Weg umsonst gemacht? Mehr so wie Haustürschlüssel in der anderen Jacke? (S. 416)

Beste Szene

Wenn die beste Szene nicht das oben schon erwähnte Gespräch von Danowski und Schelzig ist, dann vielleicht die, in der Danowski auf dem Schiff in eine Tüte pisst und damit als Schutzschild und dem Schrei „viral load“ seinen Feinden davon rennt.

Nur ein großartiger Satz aus dieser Szene:

Er schüttelte ab, Händewaschen musste allerdings ausfallen, dafür gab es hier an der Tüte einfach nicht die Infrastruktur. (431)

Für wen ist Treibland von Till Raether was?

Treibland sollten alle lesen, die Unterhaltungsliteratur mögen, aber vom Einerlei der Bestsellerlisten gelangweilt sind. Wer beispielsweise Herrndorfs „Sand“ mochte, dem wird dieser Krimi auch gefallen. Die Vergleiche sind ähnlich originell und lustig, die Sprache genauso lakonisch und nah am Gesprochenen. r rl

Wer das SZ-Magazin liest, weiß, dass Raether schreiben kann. Wer seine Artikel mag, wird hier denselben ausgefeilten Stil vorfinden – und noch dazu einen funktionierenden, intelligenten Krimi. Keine Klischees, keine abgedrehten Verschwörungen. Sondern eine solide Geschichte, raffiniert erzählt. Da kann man über die müde Mitte auch hinwegsehen.

Alle Zitate aus: Till Raether: Treibland. Rowohlt: Reinbek bei Hamburg, 2014.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert